Lesben, Schwule und Transgender

Zeit-Interview: Der CSD baut zu wenig Druck auf

 

Farid Müller im Interview mit Radio Energy
Farid Müller im Interview mit Radio Energy

 

Interview auf zeit online: Zum Christopher Street Day 2014 zieht wie in jedem Jahr eine bunte Parade durch Hamburg und andere deutsche Städte. Der Bürgerschaftsabgeordnete Farid Müller (Grüne) bezweifelt aber, dass die Paraden ausreichend Druck ausüben können.

Herr Müller, am Wochenende finden überall in Deutschland Paraden zum Christopher Street Day statt, um auf die Rechte von Schwulen und Lesben aufmerksam zu machen. Ist Homosexualität in unserer Gesellschaft nicht inzwischen fast schon normal geworden?

Farid Müller: Es hat sich viel getan. Wir liegen bei einer Zustimmungsrate zwischen 60 und 65 Prozent für lesbisch-schwule Lebensweisen. Und trotzdem nimmt die radikalisierte Homophobie zu. Das bedeutet, dass diejenigen, die Homosexualität ablehnen, nicht nur fest zu ihrer Meinung stehen, sondern sich auch noch dadurch provoziert fühlen. Sie stört, dass Homosexuelle einfach selbstverständlicher in Erscheinung treten und auch die Medien immer selbstverständlicher darüber berichten. Einige drücken daher ihre Ablehnung nicht mehr nur über Pöbeleien, sondern auch durch Gewalt aus. Das ist ein Phänomen, das wir bundesweit sehen, die Dunkelziffer ist aber immer noch sehr hoch.

Woran machen sie es fest, dass heute Homosexuelle selbstverständlicher in Erscheinung treten?

Farid Müller: Schon durch die eingetragene Lebenspartnerschaft, davon haben wir allein in Hamburg weit über 3000. Sie werden auf dem Standesamt geschlossen und danach wird gefeiert. Das bekommen einfach viele mit. Natürlich äußern sich auch heute viel mehr Leute dazu in den Medien und bekennen sich offen zu ihrer Homosexualität. Wir hatten in Hamburg einen Bürgermeister, der dazu steht, und in Berlin regiert immer noch ein schwuler Bürgermeister. Auch ich bekenne mich offen zu meinem Schwulsein. Das Thema ist also einfach mehr präsent und hat nicht mehr das Schmuddel-Image wie vor 20 oder 30 Jahren.

Brauchen wir dann wirklich immer noch jedes Jahr den Christopher Street Day?

Farid Müller: Ja. Aber man kann darüber nachdenken, ob die Art und Weise, wie er heute gestaltet wird, dazu beiträgt, die rechtliche Gleichstellung zu vollenden. Ich glaube schon, dass es richtig ist, wenn sich viele Lesben und Schwule einmal im Jahr offen zeigen — und nicht nur Prominente oder das nette verheiratete Pärchen von nebenan. Toleranz und Akzeptanz werden nicht mit den Genen vererbt, sondern müssen in jeder Generation neu erarbeitet werden.

Was sind denn konkret die Forderungen des CSD?

Farid Müller: Das Dramatische ist, dass sie sich im Grunde genommen seit Jahren nicht geändert haben. Ein großes Ziel ist etwa immer noch die vollständig anerkannte Ehe. Der erste Schritt wäre natürlich die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften. Da ist einfach wenig passiert. Momentan wird leider mehr beim Bundesverfassungsgericht entschieden als beim Gesetzgeber. Das hat in diesem Bereich praktisch das Parlament ersetzt. Der Grund ist die CDU, die sehr viel Rücksicht auf ihren rechten Wähleranteil nimmt. Ich bin der Meinung, dass diese CSDs, wie wir sie momentan in den verschiedenen Städten haben, nicht geeignet sind, um die CDU ausreichend unter Druck zu setzen.

Was wäre eine Alternative?

Farid Müller: Wenn man was machen will, muss man in die Bundeshauptstadt gehen. Das heißt nicht, dass die anderen CSDs nicht mehr stattfinden sollen. Aber für das nächste Jahr sollte man sich überlegen, ob man nicht einen bundesweiten Marsch auf Berlin plant. Und da rede ich nicht von 10.000 Teilnehmern, sondern mindestens von einer Million.

Aber ist der Bundestag überhaupt der richtige Ansprechpartner?

In Berlin sitzen die, die die Belange umzusetzen haben. Man kann sich nicht mehr über die Zuständigkeiten der Länder rausreden. Das, was noch fehlt, muss über den Bundestag umgesetzt werden, und nicht über den Bundesrat.

Glauben Sie tatsächlich, dass sich die verschiedenen Paraden zusammenschließen lassen? In Städten wie Hamburg entstehen schließlich inzwischen schon Alternativveranstaltungen, weil man sich nicht mehr mit dem Format CSD identifiziert.

Farid Müller: Ich hätte das ja nicht gesagt, wenn ich es nicht für einen Versuch wert halten würde. Es gibt die Stimmung in der Community, dass das eigentlich nicht angehen kann, was wir gerade erleben. Wenn man den richtigen Nerv trifft mit einem entsprechenden Konzept dann kriegt man das hin.

Gehen wir einmal davon aus, dass in ein paar Jahren alle Forderungen der Community erfüllt sind: Ist der CSD ohne politischen Hintergrund dann noch vorstellbar?

Farid Müller: Nein, ein CSD ohne politischen Hintergrund ist nicht wünschenswert. Ich glaube aber, abseits der rechtlichen Gleichstellung gibt es viele Sachen, die wir in Angriff nehmen müssen. Hamburg ist etwa gut beraten, nicht nur auf sich selbst zu achten, sondern auch auf St. Petersburg, seine russische Partnerstadt. Wir haben gerade von dort lesbisch-schwule Aktivisten im Rathaus empfangen und gehört, wie ihr Staat gerade noch weiter die Schrauben gegen sie anzieht. Unsere Gäste nehmen auch am Hamburger CSD teil. Für sie ist es gut zu wissen, dass wir an ihrer Seite stehen.

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